Stellungnahme zum Bundesgesetz über die Sicherstellung der staatlichen Resilienz und Koordination in Krisen (Bundes-Krisensicherheitsgesetz = B-KSG)
Das B-KSG ist in der vorliegenden Form aus mehreren Gründen abzulehnen.
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Die Anlassfälle zur Feststellung einer Krise sind so allgemein und unbestimmt beschrieben, dass eine rechtlich gesicherte und nachvollziehbare Feststellung einer Krise nicht möglich ist. Dadurch wird der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit gröblich verletzt und der Rechtsunsicherheit Tür und Tor geöffnet. Diese unpräzisen Formulierungen könnten die Regierung sogar verleiten selbst bei geringen Störfällen eine Krise festzustellen, um Eingriffe in die Grund- und Freiheitsrechte zu rechtfertigen.
2
Eine vorauseilende Krisenfeststellung, die laut Entwurf bei drohender Gefahr möglich ist, kann keinesfalls begründet werden. Eine geordnete und effiziente Staatsverwaltung muss ständig auf drohende Gefahren vorbereitet sein. Die in der Bundesverfassung verankerte Umfassende Landesverteidigung (ULV) ermöglicht der Bundesregierung und den zuständigen Ministerien zu allen Zeiten Maßnahmen zur Krisenvorsorge zu ergreifen. Der Landesverteidigungsplan 1975, der kurz nach seiner parlamentarischen Beschlussfassung völlig zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist, bietet hierfür eine empfehlenswerte Lektüre. Er enthält eine Fülle von Anregungen, die nach wie vor sinnvoll sind und ohne jegliche Gesetzesänderung umgesetzt werden könnten.
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Die Bestimmung, dass die Bundesregierung ermächtigt ist, die Verordnung im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrates zu erlassen, reicht als Korrektiv nicht aus. Im Zweifelsfall werden die Abgeordneten der Regierungsparteien die Vorgangsweise der Regierung stützen. Die Erfahrungen in der Corona-Pandemie haben gezeigt, dass in Krisenzeiten Ängste geweckt werden, die eine kritische Beurteilung von Maßnahmen behindern. Die Befassung des Plenums des Parlaments ist unerläßlich, um eine kritische Beurteilung und die nötige Akzeptanz sicher zu stellen.
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Die Anfechtung von Verordnungen, die derart schwere Eingriffe in die Grund- und Freiheitsrechte ermöglichen, muss von betroffenen Bürgern zeitnah möglich sein. In der Corona-Pandemie hat sich gezeigt, dass Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofs zeitlich zu spät erfolgen. Die Einführung von Eilverfahren, ähnlich wie in der BRD, ermöglicht Verordnungen rechtzeitig zu prüfen und die Erlassung von Kettenverordnungen zu verhindern. Ohne die Änderung der Bundesverfassung zur Ermöglichung von Eilverfahren ist das B-KSG mit den Prinzipien einer liberalen Demokratie unvereinbar.
5
Die Einrichtung von Regierungsberatern mit einer Amtszeit von 5 Jahren sowie den Verantwortlichkeiten, wie sie im Gesetzentwurf angelegt sind, ist ebenfalls zu hinterfragen, da diese Funktion der bestehenden Verwaltungsstruktur zuwider läuft. Die vorgesehene Vorsitzführung in gesetzlich eingerichteten Fachgremien kann sogar hinderlich sein, wenn die Regierungsberater in komplexen Verwaltungsmaterien sachlich nicht sinnvolle Vorgaben machen würden. Es besteht die Gefahr von Kompetenzstreitigkeiten mit den sachlich zuständigen und rechtlich verantwortlichen Verwaltungsorganen. Es ist nicht ersichtlich, welchen Zusatznutzen die Regierungsberater haben sollen, außer es ist beabsichtigt sich bei politisch unangenehmen Entscheidungen auf sie berufen zu können.
6
Wesentlich sinnvoller wäre es, sich wieder auf die ULV zu besinnen. Für die Vorbereitung auf Krisen und für deren Management wurde damals das staatliche Krisenmanagement (KRIMA) eingerichtet, das unter der Koordination des Bundeskanzlers und der zuständigen Ministerien auf allen Ebenen der Verwaltung (Bund, Länder, Bezirke, Gemeinden) in Koordinationsausschüssen tätig war. Das KRIMA baute auf den bestehenden Verwaltungsstrukturen auf und benötigte lediglich eine personell überschaubare Stabsstelle im Bundeskanzleramt. Diese effiziente Organisation des KRIMA wurde damals vom „Office for Coordination of Humanitarian Affairs“ der Vereinten Nationen als vorbildlich beurteilt und als Modell auch für andere Regionen empfohlen.
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Die bewährte Struktur des KRIMA wurde 2004, ohne fachliche Begründung, aus dem Bundeskanzleramt herausgelöst und als Staatliches Krisen- und Katastrophenschutzmanagement (SKKM) in das Bundesministerium für Inneres (BMI) transferiert. Diese Zuordnung führt zwangsläufig zu einer Verengung der Sichtweise und zur Schwergewichtsbildung in jenen Angelegenheiten für die das BMI zuständig ist. Jede Krise betrifft jedoch ein breites Spektrum an Fachbereichen, für die jeweils unterschiedliche Ministerien zuständig sind. Ein effektives Krisenmanagement erfordert die Koordinierung aller Ministerien, eine Aufgabe die dem Bundeskanzler obliegt. Das SKKM ist deshalb in das Bundeskanzleramt zurückzuführen, um die seinerzeit geschaffene „Koordinierte Führung“ im Sinne einer umfassenden Krisenvorsorge und einer umfassenden Landesverteidigung wiederherzustellen. Die im B-KSG vorgesehene Zuständigkeit des BMI für Krisen ist aus fachlicher Sicht abzulehnen.
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Die Aufgaben des neu zu schaffenden Bundeslagezentrums sind im Gesetz fachlich und administrativ ungewöhnlich weit gefasst und lassen, die Entstehung einer überbordenden bürokratischen Einrichtung befürchten. Für die meisten angeführten Aufgaben gibt es bereits zuständige Institutionen, die über das entsprechende Fachpersonal und die technischen Mittel verfügen. Es sollte geprüft werden, ob die wesentlichen Funktion, nämlich die ständige Erreichbarkeit, die Beobachtung und Zusammenfassung von Lagebildern, sowie die administrative Unterstützung von Sitzungen, nicht durch eine Erweiterung der bestehenden Bundeswarnzentrale (BWZ) erfüllt werden können. Ein Bundeslagezentrum ist jedenfalls unabhängig davon wie und wo es errichtet wird, organisatorisch dem Bundeskanzler zu unterstellen.
Zusammenfassend ist festzustellen
- Die Gesetzesvorlage ist unausgereift, rechtsstaatlich bedenklich und nicht erforderlich. Sie ist zu verwerfen.
- Sinnvoll ist die Wiederbelebung der Umfassenden Landesverteidigung und die Rückführung des SKKM in die Kompetenz des Bundeskanzlers.
- Vordringlich ist eine kritische Evaluierung der Maßnahmen in der Corona-Pandemie durch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss als Grundlage für weitere Maßnahmen.
- Notwendig ist eine Änderung der Bundesverfassung zur Einführung von Eilverfahren, die eine zeitnahe Anfechtung von Maßnahmen, die Grund- und Freiheitsrechte einschränken, ermöglichen.